DestinationWatch

WELTWEIT SICHER REISEN

DestinationWatch header image 2

„Wie steht ein Staat da, der seine Bürger nicht schützen kann?“ DestinationWatch.de-Interview mit Rechtsanwalt Şükrü Uslucan über das Urteil des Stuttgarter Verwaltungsgerichts zu Reiseverboten nach Somalia aus Sicherheitsgründen und Reisefreiheit als Bürgerrecht

März 27th, 2010 von Holger Dewitz ·

DestinationWatch: Den UN-Zivilpakt als Teil des Völkerrechts hat die Bundesrepublik 1976 unterschrieben und im Bundesgesetzblatt verkündet. Artikel 13 des UN-Zivilpaktes garantiert die Reisefreiheit. Ist die Reisefreiheit in Deutschland damit ein Bürgerrecht?

Uslucan: Ob und wie völkerrechtliche Bestimmungen innerstaatlich zu berücksichtigen sind, entscheidet sich zunächst danach, ob das jeweilige nationale Recht einen Umsetzungsakt verlangt oder nicht.  Völkergewohnheitsrecht steht nach Art. 25 S. 1 Grundgesetz über den Bundesgesetzen. Völkervertragsrecht bedarf dagegen der Transformation durch ein Vertragsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 Grundgesetz. Dazu zählen die wichtigsten menschenrechtlichen Kernkonventionen, wie unter anderem der UN-Zivilpakt.

Es nimmt dann den Rang eines Bundesgesetzes ein, wobei in Rechtsanwendungsfällen stets die völkerrechtsfreundliche Auslegung einer nationalen Bestimmung zu beachten ist.

DestinationWatch: Deutsche Gerichte müssen also die Bürgerrechte aus dem UN-Zivilpakt beachten. Wie passt zum Bürgerrecht auf Reisefreiheit die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Stuttgart, einer Frau mit deutschem Pass aus Sorge vor ihrer möglichen Entführung die Einreise in sechs Länder zu verbieten?

Uslucan: Das ist immer auch eine Abwägungsfrage. Da müssen Rechte und Pflichten gegenübergestellt werden.
Ein Bürger hat ja ein Recht auf Schutz. Das ist eine Kernaufgabe des Staates. Wenn ein Staat diesen Schutz aber praktisch nicht durchsetzen kann, dann wird das auch zu einer Frage des internationalen Ansehens. Wie steht ein Staat da, der seine Bürger nicht schützen kann und erpressbar wird?

Deshalb muss der Staat den Bürger im Zweifelsfall von seiner Reise in sehr gefährliche Urlaubsländer abhalten können. Insofern hat der Staat auch Rechte gegenüber dem Bürger, die mit dessen Reisefreiheit kollidieren.
Eines dieser Rechte ist die Einschätzung der Sicherheit in einem Reiseziel. Und dann gegebenenfalls die Entscheidung, dass ein bestimmter Bürger nicht in ein bestimmtes Land reisen darf.

DestinationWatch: Ein deutsches Passamt darf mir als Tourist vorschreiben, welche Reiseländer zu gefährlich für mich sind? Ich darf nicht selber entscheiden, in welchen Destinationen der Urlaub für mich zu unsicher ist?

Uslucan: Richtig. Da hat der Staat ein definiertes Recht, das festzulegen, die sogenannte Einschätzungsprärogative. Und das liegt dann im Ermessen der Behörde. Und nach § 114 VwGO ist daran auch nichts zu rütteln, solange die Einschätzung halbwegs sachlich getroffen wurde.

Ob der Staat jetzt also sagt, in einem Reiseziel wird unser Staatsbürger zu 40% oder 70% entführt und das ist nicht akzeptabel, dann ist das seine Sache. Jedenfalls, solange er das prüft.
Das Passamt als zuständige Behörde kann also durchaus auf Grundlage der Informationen des Auswärtigen Amtes ein Reiseverbot aussprechen und das auch im Pass eintragen, es muss nur immer eine Einzelfallentscheidung sein. Und gegen die ist dann auch erst einmal eine Anfechtungsklage vor den Verwaltungsgerichten möglich.

DestinationWatch: Wie weit kann das gehen? Ist Somalia nur ein extremer Einzelfall? Kommt als nächstes Sudan oder Kolumbien? Der Jemen und die Sahara-Staaten mit zahlreichen Entführungen westlicher Touristen? Und die Gewaltkriminalität in Südafrika ist ja kaum geringer als in Kolumbien.

Uslucan: Schwer zu sagen, aber Südafrika jedenfalls nicht. Da sind Fußballweltmeisterschaften, dahin zu Fliegen verbietet garantiert keine deutsche Behörde.

Şükrü Uslucan ist Rechtsanwalt mit dem Schwerpunkt Verwaltungs- und Verfassungsrecht in der Berliner Kanzlei Streifler & Kollegen und ist spezialisiert auf Beschwerden vor dem Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte und dem Bundesverfassungsreicht. Er hat einen Master of Law an der Columbia Law School mit dem Schwerpunkt in Menschenrechten erworben und an der Humboldt-Universität in Berlin eine Doktorarbeit zu einem Menschenrecht auf Einbürgerung verfasst.

Das Interview führte DestinationWatch-Redakteur Holger Dewitz

Der Artikel ist Teil einer Reihe über das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart zur Reisefreiheit und Reisesicherheit deutscher Staatsbürger im Ausland

Kategorie:Afrika · Sicher reisen
Schlagwörter:, , , , , , , ,

1 Antwort bis jetzt ↓

Hinterlasse ein Kommentar